LIFT magazin 02.06

Homosexualität und Kirche in Stuttgart

Legalisierung des Bösen

Rückschritt statt Fortschritt: Die katholische Kirche sagt der Homosexualität in den eigenen Reihen den Kampf an. Dagegen wehren sich Stuttgarter Gemeinden


Weltoffen und tolerant: die alt-katholische Gemeinde Stuttgart. Hier werden auch homosexuelle Lebensgemeinschaften wie die der Schürrers gesegnet.

■ „Personen, die Homosexualität praktizieren, tief sitzende homosexuelle Neigungen aufweisen oder die so genannte Gay-Kultur unterstützen, können nicht für das Priesterseminar und die heiligen Weihen zugelassen werden." Der Mann, der diesen Satz unterschrieb, ist der ehemalige Kardinal Ratzinger. Im höchsten Amt der katholischen Weltkirche scheint er sich zum modernen Großinquisitor aufgeschwungen zu haben. Sein aktueller Kreuzzug gilt der Homosexualität.

Dass Homosexualität vom Vatikan als Krankheit angesehen wird, die es zu überwinden gilt, zeigt erneut der im November 2005 veröffentlichte Erlass „Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesterseminar".

Immerhin wiederholt das Schreiben nicht die Verknüpfung von Homosexualität und sexueller Ausbeutung von Minderjährigen, wie sie in früheren Äußerungen vorkam. „Schwule gelten noch heute als gefährlicher, als sexueller. Darin schwingt das wiederum sehr bedenkliche Vorurteil mit, dass sie auch gefährdend für Kinder und Jugendliche seien", so Axel Schwaigert, evangelischer Theologe, der in der Freikirche Metropolitan Community Church in Stuttgart Gottesdienste von und mit Lesben und Schwulen veranstaltet. Er hält besonders die Folgen aus dem Erlass für unverantwortbar: „Die angehenden Priester im Seminar werden sich und ihre Sexualität aus Angst verleugnen, das Denunziantentum bekommt Futter - zumal man wissen muss, dass 20 Prozent aller Bewerber und auch der Priester selbst homosexuell sind.

"Ulrich Schürrer vom Verein „Homosexuelle und Kirche", Gemeindemitglied der Alt-Katholischen Gemeinde Stuttgarts, kritisiert die rigide katholische Position zum Thema ebenfalls: „Die katholische Kirche sieht die Zulassung zum Priesteramt als Berufung, nicht als Recht, daher ist das Denken in Gleichberechtigungs- oder Gleichbehandlungskategorien nicht anwendbar." Aus der unerbittlichen „römischen Logik" heraus war 1870 auch die Alt-Katholische Kirche entstanden: Nachdem von einigen Teilen der Kirche die Unfehlbarkeit des Papstes angezweifelt worden war, wurden diese aus der römisch-katholischen Kirche geschmissen. „Wir möchten mit Menschen nicht so umgehen, wie wir selbst behandelt wurden", so Joachim Pfützner, Pfarrer der relativ kleinen, aber sehr engagierten und weltoffenen Alt-Katholischen Gemeinde Stuttgart. „Es ist uns vielmehr ein Anliegen, tolerant zu sein. Deshalb akzeptieren wir homosexuelle Priester in unserer Kirche, segnen auch die Lebensgemeinschaft homosexuell liebender Menschen. Der Erlass des Vatikans, auch wenn wir ihm selbst ja nicht unterstehen, schmerzt uns sehr."

Erschreckend ist die Angst und Verunsicherung der Betroffenen innerhalb der katholischen Kirche, denen auf eine öffentliche Äußerung zum Thema Entlassung und de facto Berufsverbot drohen. Benedikt XVI. diffamiert allein schon die eingetragene Lebenspartnerschaft als „Legalisierung des Bösen": Wollen Lesben und Schwule, deren Arbeitgeber die römisch-katholische Kirche ist, von ihrem Bürgerrecht Gebrauch machen und ihre Lebenspartnerschaft am Standesamt eintragen lassen, werden sie gefeuert. So sorgt die katholische Kirche dafür, dass scheinbar immer nur „mit einer Zunge gesprochen" wird. Nur 50 Priester weltweit haben sich mit einem gemeinsamen Brief an den Vatikan gewandt.

Und Erika Micale. Die Stuttgarterin ist Katholikin und Mutter zweier schwuler Söhne. Die Leiterin der Selbsthilfegruppe für Eltern homosexueller Kinder, deren Schwerpunkt das Thema Kirche ist, äußert sich kritisch: „Der Erlass ist diskriminierend. Meine beiden Söhne sind aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ich selbst nicht, da ich denke, dass ich nur innerhalb der Institution etwas bewirken und ändern kann. Das ist natürlich vorrangig Basisarbeit. Aber ich habe auch, um meinem Frust Luft zu machen, einen fünfseitigen Brief an den Vatikan geschrieben. Der allerdings blieb bislang unbeantwortet."

ANDREA JENEWEIN

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Quelle: LIFT Stadtmagazin Stuttgart, Februar 2006, Seite 18